Die „Hashimoto-Lüge“
Wer im Internet nach Informationen zur Hashimoto-Thyreoiditis sucht, wird früher oder später auf einen Begriff stoßen, der seit einiger Zeit für Diskussionen sorgt: die „Hashimoto-Lüge“. Doch was verbirgt sich dahinter? Als Experten auf dem Gebiet der Schilddrüsenerkrankungen möchten wir Klarheit schaffen.
Was steckt hinter der „Hashimoto-Lüge“?
Die Hashimoto-Thyreoiditis ist die häufigste Ursache für eine Schilddrüsenunterfunktion in westlichen Ländern. Fast jede zehnte Person in Mitteleuropa ist betroffen. Die Krankheit zeichnet sich durch eine chronische Entzündung der Schilddrüse aus, bei der das Immunsystem gesunde, körpereigene Zellen zerstört.
Symptome wie Müdigkeit, Kältegefühl, Traurigkeit und Gewichtszunahme treten oft schleichend auf. Viele Patienten zögern, einen Arzt aufzusuchen. Wenn sie es tun, vergeht oftmals viel Zeit, bis die Erkrankung diagnostiziert und erfolgreich behandelt wird. Ein Teil der Betroffenen fühlt sich daher missverstanden, falsch behandelt oder von der Medizin im Stich gelassen.
Der Begriff „Hashimoto-Lüge“, auf den Betroffene im Internet stoßen, fungiert dabei als Schlagwort. Zwar ist es nicht einfach zu definieren, worin die vermeintliche „Lüge“ besteht, doch der Begriff zieht regelmäßig Aufmerksamkeit auf alternative, wissenschaftlich umstrittene oder widerlegte Ideen. Wir möchten daher einige der häufigsten Aussagen rund um diese „Lügen“ und Missverständnisse genauer unter die Lupe nehmen.
1. Die „Hormonverschwörung"
Die Wirkung der Schilddrüsenhormone im Körper ist äußerst vielseitig und essenziell für das allgemeine Wohlbefinden. Gerät der Hormonhaushalt infolge von Hashimoto aus dem Gleichgewicht, führt dies häufig zu Symptomen wie Müdigkeit, Erschöpfung, Gewichtszunahme und vielen anderen Beschwerden. Synthetisches T4 in Form von Levothyroxin-Tabletten (L-Thyroxin) kann eine Unterversorgung mit natürlichem Schilddrüsenhormon ausgleichen und die Beschwerden lindern. In Deutschland und in anderen Industriestaaten zählt es zu den am häufigsten verschriebenen Medikamenten. Doch resultiert aus der Hormonersatztherapie möglicherweise ein gesundheitliches Risiko, das ihren Nutzen übersteigt? Steckt möglicherweise die Pharmaindustrie, die Profite über die Gesundheit der Patienten stellt, hinter der Vielzahl von Verschreibungen? Das jedenfalls wird in manchen Online-Beiträgen suggeriert.
Tatsächlich gibt es bei der Einnahme von L-Thyroxin als Teil einer Hormonersatztherapie potenzielle Gesundheitsrisiken – insbesondere dann, wenn die Dosierung nicht optimal eingestellt ist. Eine langfristige Überdosierung kann zu Nebenwirkungen wie Herzrhythmusstörungen oder Osteoporose führen. Daher sollte eine Hormonersatztherapie stets von erfahrenen Schilddrüsenmedizinern begleitet und durch regelmäßige Kontrolluntersuchungen überwacht werden.
Ist die Dosierung jedoch korrekt eingestellt, sind bei einer lebenslangen Einnahme von Hormonersatzpräparaten keine Nebenwirkungen zu erwarten. Umgekehrt können durch eine jahrelange Hormonunterversorgung erhebliche Gesundheitsrisiken entstehen, darunter erhöhter Blutdruck, chronische Nierenfunktionsstörungen oder Übergewicht.
Die hohe Verordnungszahl liegt in der Häufigkeit der Schilddrüsenerkrankungen, vor allem der Hashimoto-Thyreoiditis, und der guten Verträglichkeit des Medikaments begründet.
2. Die „Hashimoto-Ernährungslüge"
Im Internet kursieren zahlreiche Theorien, wonach bestimmte Diäten oder Entgiftungskuren die Hashimoto-Erkrankung heilen könnten. Patienten wird häufig pauschal geraten, bestimmte Nahrungsmittel wie Obst, Gemüse oder Zucker zu meiden. Viele dieser Ratschläge können jedoch zu einer unausgewogenen Ernährung führen und das Wohlbefinden der Betroffenen eher verschlechtern. Während eine gesunde, ausgewogene Ernährung zweifellos das allgemeine Wohlbefinden unterstützen kann, gibt es keine wissenschaftlich belegte Ernährungsweise, die Hashimoto heilen kann. Entscheidend ist eine Ernährung, die die Gesundheit des Körpers insgesamt fördert.
Das bedeutet jedoch nicht, dass jede Ernährungsweise für jeden Hashimoto-Patienten gleichermaßen verträglich oder förderlich ist. Die Erkrankung geht häufig mit Verdauungsproblemen einher. Zudem leiden Betroffene häufiger an Begleiterkrankungen wie Zöliakie, Diabetes oder entzündlichen Darmerkrankungen als Menschen mit einer gesunden Schilddrüse. Daher sollten Ernährungsanpassungen individuell erfolgen. Tests und gezielte Auslassdiäten können helfen, den Magen-Darm-Trakt zu entlasten und Entzündungstrigger zu vermeiden – ohne dabei unnötig die Lebensqualität einzuschränken.
3. Das Gluten-Missverständnis
Die Idee eines Zusammenhangs zwischen Gluten und Hashimoto wird in vielen Foren heiß diskutiert. Viele Betroffene schwören auf den Verzicht von Gluten. In entsprechenden Erfahrungsberichten schildern sie, dass diese Maßnahme ihre Symptome gelindert oder die Krankheit sogar „geheilt“ habe.
Gluten ist ein Eiweiß, das in bestimmten Getreidesorten vorkommt, und spielt eine zentrale Rolle bei Zöliakie – einer Autoimmunerkrankung, die durch eine Überreaktion des Immunsystems auf Gluten ausgelöst wird. Bei Zöliakie kann eine glutenfreie Ernährung die Beschwerden lindern oder sogar vollständig beseitigen.
Für Hashimoto-Thyreoiditis gibt es jedoch keine wissenschaftlichen Belege dafür, dass Gluten die Krankheit verursacht oder ihren Verlauf beeinflusst. Eine vollständige Heilung durch den Verzicht auf Gluten ist daher unwahrscheinlich. Dennoch berichten einige Betroffene über eine Linderung ihrer Symptome durch eine glutenarme Ernährung. Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass Menschen mit Hashimoto häufiger auch an Zöliakie leiden.
Daher wird empfohlen, sich auf Zöliakie testen zu lassen und probeweise auf Gluten zu verzichten, um mögliche Verbesserungen der Symptome zu beobachten. Eine Heilung ist zwar nicht zu erwarten, aber eine glutenarme Ernährung könnte helfen, Beschwerden zu reduzieren und möglicherweise die Medikamentendosis anzupassen.
4. Die „Jod-Lüge"
Jod ist zweifellos essenziell für eine gesunde Schilddrüse. Doch kann eine erhöhte Jodzufuhr auch bei Hashimoto-Thyreoiditis hilfreich sein? Es gibt Autoren, die dies behaupten. Tatsächlich aber kann zu viel Jod schädlich sein. In hohen Dosen kann es Immunprozesse fördern, die Hashimoto verschlimmern könnten. Studien zeigen sogar, dass eine erhöhte Jodaufnahme mit einer Zunahme von Hashimoto-Erkrankungen in Verbindung steht. Daher wird von einer zusätzlichen Jodzufuhr abgeraten.
Eine weitere verbreitete Theorie in Bezug auf Jod lautet: „Ein bewusster Jodverzicht könnte sich bei einigen Patienten positiv auswirken.“ Doch auch hierfür gibt es keine wissenschaftlichen Hinweise. In den meisten Fällen sind die Auswirkungen eines vollständigen Jodverzichts gering und bieten keine dauerhafte Verbesserung – insbesondere nicht, wenn die Schilddrüse bereits über einen längeren Zeitraum geschädigt wurde.
5. Das Diagnose-Missverständnis
Ein häufiges Missverständnis ist die Annahme, dass Hashimoto nur dann vorliegt, wenn die Laborwerte außerhalb des Normalbereichs liegen. Tatsächlich können Patienten auch bei normalen TSH-Werten an Hashimoto leiden, was die Diagnose erschwert. Es ist daher wichtig, Laborwerte nicht isoliert zu betrachten, sondern stets den gesamten Gesundheitszustand des Patienten in den Blick zu nehmen.
Ganz ähnlich verhält es sich mit den Antikörperspiegeln im Blut. Die Messung von Antikörpern (TPO und TG) ist eine wichtige Untersuchung bei der Diagnostik von Hashimoto-Thyreoiditis. Ihre Werte sind bei Erkrankten oft stark erhöht, doch es gibt auch Patienten, bei denen dies nicht der Fall ist. Deshalb kann das Fehlen von Antikörpern nicht ausschließen, dass jemand an Hashimoto leidet.
Bei der Diagnose von Hashimoto-Thyreoiditis sollte daher stets eine Kombination verschiedener Untersuchungen, wie Blutanalyse und Sonografie, zum Einsatz kommen.
Fazit
Hashimoto ist eine chronische Autoimmunerkrankung, die nur in wenigen, früh erkannten Fällen heilbar ist. Trotz aller medizinischen Fortschritte können die zugrunde liegenden krankhaften Prozesse bisher nicht vollständig gestoppt werden. In dieser Situation erwecken alternative Heilansätze immer wieder den Eindruck, dass die Krankheit doch heilbar sei. Patienten, die von der Schulmedizin enttäuscht sind, suchen nach Lösungen und stoßen dabei oft auf Mythen und falsche Versprechungen.
Eine gesunde, ausgewogene Ernährung und eine bewusste Lebensführung können zwar helfen, die Symptome zu lindern, doch eine zuverlässige Heilung bleibt bislang unerreichbar. Es ist daher wichtig, auf wissenschaftlich fundierte Informationen zu vertrauen und sich nicht von Fehlinformationen oder Mythen in die Irre führen zu lassen.
Wir raten, jede Behandlung einer Hashimoto-Thyreoiditis von einem Arzt individuell auf das Krankheitsbild abstimmen zu lassen und pauschalen Empfehlungen stets mit Vorsicht zu begegnen.